Kapitel 12 | Sonderfall Verwahrung
Ziel der Verwahrung ist die Sicherung der gesellschaftlich anerkannten Rechtsgüter vor einem «gefährlichen» Täter. Die Dauer der Verwahrung richtet sich deshalb grundsätzlich nach der Gefährdung, die vom Täter ausgeht.
1) Gegen wiederholt rückfällige Täter, so genannte «Gewohnheitsverbrecher», sowie unzurechnungsfähige oder vermindert zurechnungsfähige Täter,
2) Täter, die schwere Gewalt- und Sexualdelikte begangen haben, und von denen erneut solche zu erwarten sind.
Ein Strafrecht wird dann als zweispurig (dualistisch) bezeichnet, wenn das Gesetz sowohl Massnahmen als auch Strafen vorsieht (gesetzlicher Dualismus) respektive dem Richter die Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Sanktionstypen lässt (richterlicher Dualismus).
1) Auf der Ebene der Strafzwecke: bei Massnahmen stehen spezialpräventive Ziele (Resozialisierung, Sicherung) im Vordergrund, während mit der Strafe verschiedene Zwecke verfolgt werden (Vergeltung, Abschreckung, Resozialisierung, zeitweise Sicherung),
2) hinsichtlich der Bemessung: das Mass der Strafe richtet sich nach der begangenen Tat und dem individuellen Verschulden, die Dauer der Massnahme dagegen nach ihrer Zweck- und Verhältnismässigkeit,
3) hinsichtlich ihrer Dauer: eine Strafe ist befristet, eine Massnahme grundsätzlich unbefristet; sie wird aufgehoben, wenn ihr Zweck erreicht respektive ihre Weiterführung zwecklos oder unverhältnismässig geworden ist.
1) Wie die Verwahrung stellt das kantonale Versorgungsrecht weniger auf eine isolierte Tat, sondern auf die Persönlichkeit und Lebensweise des zu Internierenden sowie auf die «Störung» ab, die von diesem künftig zu erwarten ist. Eine gewisse Vorbildfunktion besteht auch hinsichtlich der Abhängigkeit der Entlassung vom «Wohlverhalten» des Internierten und der dadurch gegebenen (relativ) flexiblen Haftdauer.
2) Im Gegensatz zum Versorgungsrecht betrifft die Verwahrung Personen, die wegen einer Straftat verurteilt werden.
1. Phase: 1942 bis Mitte der 1950er-Jahre, relativ expansive Anwendung der Verwahrung, starke Fokussierung auf wiederholte, jedoch geringfügige (Eigentums-)Delinquenz.
2. Phase: Mitte der 1950er-Jahre bis Mitte der 1980er-Jahre, sukzessiver, ab 1971 deutlicherer Rückgang der Anwendung, weiterhin Fokussierung auf Kleindelinquenz, jedoch zunehmende Bedeutung schwererer Anlasstaten.
3. Phase: Mitte der 1980er-Jahre, Beschränkung auf Einzelfälle und Fokussierung auf schwere Gewalt- und Sexualdelikte, Verzicht auf die Rückfälligenverwahrung, ab den 1990er-Jahren führt die Verschärfung der Entlassungspraxis zum Anstieg der Insassenbestände.
1970–1990: Die rechtsstaatliche Zügelung des Massnahmenrechts (Verhältnismässigkeitsprinzip) und der (weitgehende) Ersatz der Verwahrung durch resozialisierende Massnahmen stehen im Vordergrund.
1990–2010: Die Forderung nach einem verbesserten Schutz der Gesellschaft, zero tolerance und verschärfte Entlassungsbedingungen, beherrscht die Diskussion, früheren Reformen wird nun überzogene Täterfreundlichkeit unterstellt. Verantwortlich für den Umschwung sind u. a. einzelne spektakuläre Gewaltverbrechen (Mord vom Zollikerberg 1993), das wachsende Gewicht der Opferperspektive in der politischen Diskussion, offensiv verbreitete Prognoseversprechen von Seiten der Psychiatrie, politischer Druck durch die 1998 eingereichte Verwahrungsinitiative.
1) Das Parlament sieht 2002 erstmals die Verwahrung geistesgesunder Ersttäter vor und verschärft die Entlassungsbedingungen.
2) 2006 werden das revidierte StGB «nachgebessert» und der Anwendungsbereich der Verwahrung auf mittelschwere Anlassdelikte ausgeweitet und die Möglichkeit einer nachträglichen Verwahrung eingeführt.
3) 2007 erlässt das Parlament Ausführungsbestimmungen für die lebenslange Verwahrung gemäss der 2004 angenommenen Verwahrungsinitiative.