Kapitel 16 | Ein konstant kleiner Frauenanteil

FS1601: Beschreiben Sie die historische Entwicklung der straf­rechtlichen Behandlung von Frauen.

Der Platz der Frauen unter den straf­rechtlich verfolgten und einge­wiesenen Personen hat mit der Zeit abge­nommen, u.a. weil viele der ihnen vorge­worfenen Straf­taten im Laufe des 20. Jahrhun­derts entkriminali­siert bzw. deren Begehung durch andere Mass­nahmen kaum mehr begangen wurden. Dies gilt insbe­sondere für die Kinds­tötung, welche auf Grund der Legalisierung der Abtreibung, neben anderen Massnahmen, nahezu aus der Realität und der Statistik verschwunden ist. Dies gilt auch für die Prostitution, welche heute staatlich reguliert eher denn straf­rechtlich verfolgt wird. Die These, dass Frauen mit zunehmen­der Integration in die Arbeits­welt vermehrt Straf­taten begehen würden, die bisher Männern vorbe­halten waren, hat sich bisher nicht bewahr­heitet.

FS1602: Wie verändern sich Umfang und Struktur der Frauen­delinquenz in der Zeit?

In den letzten 30 Jahren ist die Zahl der verurteilten Frauen in absoluten Zahlen um 150% gestiegen; in gewichteten Zahlen wird dieser Anstieg allerdings stark relativiert. Trotz­dem muss festge­halten werden, dass zu Beginn des letzten Jahr­hunderts Frauen rund 20% der Verurteilten aus­gemacht haben, während ihr Anteil ab den 1950er-Jahren auf rund 15% abgesunken ist.

Was die Struktur der von Frauen abgeurteilten Straf­taten anbelangt, liegt der Anteil der Frauen bei den nach dem StGB verurteilten Personen zwischen 1996 und 2013 bei 16%, mit einer extremen Stabilität. Im Bereich der Straf­taten nach dem Betäubungs­mittel­gesetz fällt ihr Anteil zwischen 1969 und 2006 von 18,5 auf 12,5% ab, um seither weiter auf 9% (2013) abzu­sinken. Bei den Straf­taten nach dem AuG liegt deren Anteil heute bei 13,5% wie vor 30 Jahren, wobei um 2000 ihr Anteil bis auf 28% angestiegen ist. Der einzige Bereich, in dem ein klarer Anstieg festzu­stellen ist, ist der­jenige des SVG, wo die Anteile von 1962 5% bis 2006 auf 9,5% und bis 2013 auf 15% klettern. Diese letzte Veränderung steht sicherlich mit der Integration der Frauen in Wirtschaft, Freizeit und ganz allgemein in die Mobilität in Zusammenhang.

FS1603: Welches sind die Grössen­ver­hältnisse der Registrierung von Frauen in den ver­schie­denen Etappen der Straf­verfolgung?

Man unterscheidet der Einfachheit halber zwischen der Registrierung auf den Ebenen von Polizei, Justiz und Freiheits­entzug, wobei das Bild des Trichters zur Veran­schaulichung der Grössen­ver­hältnisse dient. Es könnte zudem noch vor­gelagert die Dunkel­ziffer erwähnt werden.

In der Schweiz betrug 2013 der Anteil der Frauen unter allen Beschuldigten 22%; im gleichen Jahr machten die Frauen 16% der Verurteilten und im Freiheits­entzug noch ganze 5% aus. Dabei kann festge­halten werden, dass über das letzte Jahr­hundert betrachtet die Zahlen in den Bereichen Justiz und Gefängnis tendenziell gesunken sind, wahr­scheinlich auch in dem der Polizei; allerdings fehlen da gesamt­schweizerische Zahlen.

FS1604: Geben Sie Gründe für die Ab­nahme der Straf­verfolgung der Frauen an.

Ein erster Grund liegt in der Entkriminalisierung verschie­dener Straf­taten, die mehr­heitlich von Frauen begangen wurden, wie die Prostitution oder dann die Abtreibung, die in engem Zusammen­hang mit der Kinds­tötung stand. Dabei muss gesehen werden, dass zwar zuneh­mend nicht die Prosti­tution unter Strafe gestellt wurde, sondern eine ganze Anzahl von Begleit­erscheinungen. Dabei ging die Ent­kriminali­sierung einher mit der Umwertung gesell­schaftlicher Werte und sozial­verträglicher Lösungen, wie z.B. der Registrierung und Taxierung der Prostituierten oder der Legali­sierung des Schwanger­schafts­abbruchs. Ein weiterer Grund scheinen kleinere Mass­nahmen wie die Ein­führung von Art. 173 Ziff. 2 StGB im Vermögens­straf­recht zu sein, die dazu beige­tragen haben, dass die gering­fügigen Diebstähle von Frauen weniger ins Straf­register eingetragen wurden. Schliesslich muss auch auf Straf­taten im Betäubungs­mittel­bereich hinge­wiesen werden, wobei die von Frauen begangenen Straf­taten hier immer von geringerer Schwere sind; deshalb könnte es sein, dass die beobachtbare Entkriminali­sierung des Konsums und des kleinen Handels wahr­scheinlich den Frauen eher zugute kam als den Männern.

FS1605: Wie stehen die Veränderungen in der Frauendelinquenz bzw. in der Straf­verfolgung von Frauen mit dem Wandel der sozialen Stellung der Frau im Zusammenhang?

Die Verbesserung der sozialen Stellung der Frau ging einher mit ihrer zunehmenden Integration in die Arbeits-, Verkehrs- und Freizeit­welt und gleich­zeitig mit der Auf­gabe der Straf­verfolgung bestimmter Straf­taten wie der Straf­verfolgung von Prostitution und Abtreibung. Während die verstärkte Integration der Frauen in der Arbeits­welt bisher kaum zum Anstieg von Straf­taten, die von Frauen begangen werden, geführt hat, trug der höhere Anteil der Frauen im Strassen­verkehr auch zur Zunahme der verurteilten Frauen nach dem SVG bei.

FS1606: Beschreiben Sie die Tenden­zen des Frei­heits­entzugs an Frauen. In der U-Haft, im Vollzug und in den anderen Haft­formen.

Zwischen 1900 und 2013 wird Freiheitsentzug immer zurück­haltender gegenüber Frauen angeordnet, einerseits wegen der Entkriminali­sierung verschiedener Straf­taten, die vor allem Frauen betrafen und not­wendiger­weise mit Freiheits­strafe geahndet wurden, anderer­seits durch eine Veränderung der Sanktions­schwere wie z.B. bei Vermögens­delikten. Die Tendenzen lassen sich in allen Formen des Freiheits­entzugs beobachten, stärker beim Voll­zug als bei der Untersuchungs­haft.

FS1607: Inwiefern und wie wurde den Eigen­heiten der Frauen im Freiheits­entzug Rechnung getragen?

Es lässt sich beobachten, dass Frauen während nahezu 150 Jahren seit der Helvetischen Republik in der Durch­führung von Freiheits­entzug kaum spezielle Beachtung geschenkt wurde, während man sie wohl in eigenen Abteilungen und Ein­richtungen einsperrte, wurden weder Regime noch Vollzugs­alltag speziell geregelt. Mit zu­nehmender sozialer Aner­kennung der Frau wurde ihren Eigen­heiten auch im Freiheits­entzug Rechnung getragen, indem Mutter-Kind-Wohn­gruppen einge­richtet wurden, spezielle Besuchs­zeiten für Kinder gewährt werden und dem Bezug zum Woh­nort der Familie eine gewisse Beachtung geschenkt wird.

FS1608: Beschreiben Sie das heutige System des Freiheits­entzugs an Frauen in der Schweiz.

Es besteht in gewissem Sinne ein zweistöckiges System des Freiheits­entzugs an Frauen in der Schweiz, mit einem weit­verzweigten Netz von Abteilungen für Frauen in den viel­fältigen (Unter­suchungs- bzw. Bezirks-)Gefängnissen für die Durch­führung von Unter­suchungs­haft und den Vollzug von kurzen Strafen. Darüber gelagert sind vor allem zwei grössere Ein­richtungen für den Vollzug von längeren Strafen und Mass­nahmen an Frauen:

  • Anstalten Hindelbank im Kanton Bern
  • Prison de La Tuilière in Lonay bei Lausanne, Kt. Waadt.
FS1609: Wo liegen Ihrer Meinung nach die Stärken und Schwächen des Systems des Freiheits­entzugs an Frauen in der Schweiz?

(Antwort wird demnächst aufgeschaltet)

Links

Prison de La Tuilière (fr) → www.vd.ch

Anstalten Hindelbank → www.pom.be.ch

Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (Ausländergesetz, AuG) → www.admin.ch