Kapitel 18 | Personal: Entwicklung und Ausbildung

FS1801: Wie viele Personen werden zu den zwei beschriebenen Zeitpunkten in den Einrichtungen des Freiheitsentzugs beschäftigt? Welches sind mögliche Gründe für die festgestellte Personalentwicklung?

Eine detaillierte Personal­statistik der Einrichtungen des Freiheits­entzugs fehlt bis zum heutigen Tag. Deshalb kann nur zu einigen wenigen Zeit­punkten die Anzahl der eingesetzten Personal­ressourcen geschätzt werden. Im Artikel wird dies für 1900,1980 und nach 2000 getan. Ausgehend vom Personal­verhältnis in der Gefängnis­kunde von Hafner/Zürcher wird die Zahl der im Freiheits­entzug beschäftigten Personen im Jahr 1900 auf 1500 Personen geschätzt. Für das Jahr 1980 stehen Informationen aus dem Anstalten­katalog, der von den Bundes­ämtern für Justiz und Statistik heraus­gegeben wurde, zur Verfügung. Sie belegen, dass zu diesem Zeitpunkt die Beschäftigten­zahl auf gut 3500 Personen gestiegen ist. Trotz der Schliessung bzw. Zusammen­legung von Gefängnissen seit 1980 kann angenommen werden, dass die Personal­ressourcen stabil geblieben sind.  Die Gründe für den massiv gestiegenen Ressourcen­einsatz ist zuerst in der Verbesserung der Arbeits­beding­ungen zu suchen, insbesondere der starken Arbeitszeit­reduktion. Gleichzeitig sind die Rechte der Insassen, auf Anwalts- und Familien­besuch, Freizeit­aktivitäten, Ausbildung, soziale und medizinische Betreuung neben vielen anderen gestiegen, deren Wahrung zusätzliches Personal voraussetzt. Schliesslich setzt die Umsetzung einer menschen­würdigeren Betreuung ebenfalls Personal voraus, das sich zuerst einmal aus- und später weiter­bilden muss. (siehe auch Frage 1703)

FS1802: Welche Veränderungen können in der Berufsbezeichnung des Fachpersonals im Freiheitsentzug beobachtet werden?

Ganz allgemein muss zuerst ein kontinuierlicher Wandel in den Bezeich­nungen der Beschäftigungen in diesem Tätigkeits­bereich festgehalten werden. Er belegt Unklarheiten in der Benennung des Arbeits­feldes.

So können zuerst einmal die Begriffe für das leitende Personal und die Fach­kräfte in der Aufsicht in Betracht gezogen werden. Während erstere Kerkermeister, Zucht­meister, später Leiter und heute Direktor heissen, werden die Fachkräfte seit jeher in zwei Gruppen geteilt, diejenigen, die mit der Arbeit und den Insassen beschäftigt, und diejenigen, die mit der Überwachung, heute mit der Betreuung der Insassen, beauftragt sind. Erstere hiessen früher Werkführer, Werkmeister, Hand­werks­meister, während die Bezeich­nungen der zweiten von Wächtern, Wärtern, Profossen, über Aufseher und Betreuer, zu Personal des Strafvollzugs und schliesslich zu „Fachmann oder Fachfrau für Justizvollzug“ (SAZ) führen.

Wiesen die Benennungen Kerker­meister und Zucht­meister oder Wächter und Aufseher noch sehr direkt auf Örtlichkeiten und Inhalt der Arbeit hin, so stellen die Begriffe des Leiters oder Direktors wie auch diejenigen des Fachmannes/der Fachfrau neutralere Berufs­namen dar. Der Begriff bringt es mit sich, dass fachliche Kompetenzen verlangt werden, die mit einem spezifischen Berufs­feld  – dem Freiheits­entzug, oder auch dem Justizvollzug – im Zusammen­hang stehen. Die begriffliche Anbindung an die Justiz durch den umfassenden Begriff des Justiz­vollzugs bezweckt unbewusst eine gewisse ideelle Besser­stellung, gibt es doch in den allgemeinen Vorstellungen zwischen Justiz und Freiheits­entzug einen gewissen, nicht zu unterschätzenden sozialen Unterschied.

FS1803: Wie wandeln sich die Vorstellungen des Berufsstandes des Personals im Freiheitsentzug?

Die Veränderung der Vorstellungen des Berufsstandes des Personals im Freiheits­entzug kann mittels der Veränderungen der Berufs­bezeichnungen beobachtet werden. Lange Zeit stand die Bewachungsfunktion im Vorder­grund: Wärter, Wächter, Aufseher. Mit der Entstehung des Schweiz. Ausbildungs­zentrums für das Strafvollzugs­personal kam eine umfassendere, neutralere Aufgaben­vorstellung ins Spiel. Diese wurde um ein Kompetenz­modell erweitert, das sich in der kürzlichen Wahl der neuesten Berufs­bezeichnung wider­spiegelt und zertifiziert wurde, nämlich Fachmann und Fachfrau für Justizvollzug.

FS1804: Wie haben sich die Anforderungen an die Arbeit im Freiheitsentzug verändert? Wie die Anstellungsbedingungen?

Wie in allen Berufs­gattungen, sind auch im Freiheitsentzug die Anforderungen an die berufliche Tätigkeit im Gefängnis in den letzten zwei Jahrhunderten gestiegen. Indem von Insassen nicht mehr absoluter Gehorsam verlangt wird, sondern diese über gewisse Rechte verfügen, indem von Direktionen der Einrichtungen verlangt wird, diese ohne öffentlich wahrnehmbare Probleme zu führen, steigen auch die Anforderungen an das Personal, welches in möglichst konflikt- und gewaltfreier Art und Weise Sicherheit, Alltag und Wohl­ergehen der Insassen zu organisieren hat. Die sozialen Errungen­schaften für Werk­tätige, von reduzierten Arbeitszeiten, über Kranken­absenzen zu Ferien­anrechten, wurden nach und nach auch dem Personal im Freiheits­entzug gewährt.

Stellten lange Zeit der Schweizer Pass und die Militärdienst­tauglichkeit, die Grundschul­bildung und eine abgeschlossene Handwerkslehre genügende Anstellungs­voraussetzungen dar, sind erstmals 2004 gesamtschweizerische Bedingungen definiert worden. Dabei ging es mehr darum, modernen pädagogischen Konzepten entsprechend Schlüssel­kompetenzen vorzugeben, denn rein formelle Kriterien zu definieren.

FS1805: Welche Entwicklungsetappen der Aus- und Weiterbildung des Personals des Freiheitsentzugs können identifiziert werden?

Aus- und Weiterbildung gab es lange Zeit im Freiheitsentzug nicht. Praktiziert wird eine Ausbildung in der täglichen Tätigkeit in der Einrichtung.
Die ersten kantonalen Initiativen, Personal auszubilden bzw. dieses weiterzubilden, gehen auf die Eröffnung der neuen Strafanstalten in der Mitte des 19. Jahrhunderts zurück (AG, BS, NE). Der Direktor des Neuenburger Zuchthauses, Louis Guillaume, organisiert zu Beginn der 1870er-Jahre für das Personal eine erste Grundausbildung. Ebenfalls sind ihm die ersten überregionalen Weiterbildungskurse zu verdanken. Solche Kurse werden erst wieder gegen Ende 1920 aufgenommen, die allerdings auf das Kaderpersonal beschränkt und nach Sprachregionen getrennt durchgeführt werden. Erweitert wird das Angebot 1949, bleibt jedoch weiterhin weitgehend unkoordiniert und unsystematisch. In den frühen 1950er-Jahren gehen einzelne Kantone daran, Grundausbildungskurse für ihr Personal einzurichten – so neben anderen der Kanton Waadt.
Eine eigentliche, gesamtschweizerisch anerkannte, einheitliche und allgemein begrüsste Grundausbildung wird erst mit der Gründung der Stiftung Schweiz. Ausbildungszentrum für das Strafvollzugspersonal in Bern ab 1977 eingeführt. Mit dessen Umzug nach Freiburg wird die Grundausbildung ausgebaut, Weiterbildungs- und Kaderkurse werden eingeführt. Heute haben bald drei Viertel aller Personen, die in Einrichtungen des Freiheitsentzugs arbeiten, eine Grundausbildung mit Prüfung abgeschlossen.

FS1806: Von welchen Instanzen gingen die Impulse für die Professionalisierung des Fachpersonals im Freiheitsentzug aus?

Die Impulse für die Aus- und Weiter­bildung des Personals des Freiheits­entzugs gehen von den Anstalts­direktoren und deren Vereinigung, dem Verein für Straf-, Gefängnis­wesen und Schutz­aufsicht, aus. Es sieht alles danach aus, dass während nahezu 100 Jahren (1870 bis 1976) weder von Seiten der Kantone noch von der dafür zuständigen Konferenz, der 1906 gegründeten Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizei-Direktoren (KKJPD, heute Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizei­direktorinnen und –direktoren), noch vom Bund auf deren Forderungen für die Institutionalisierung einer Grund- und Weiter­bildung des Personals im Freiheits­entzug ernsthaft eingegangen wurde. Da es an einer überregionalen oder gar nationalen Vereinigung des Personals der Einrichtungen des Freiheits­entzugs fehlt, ist es nicht verwunder­lich, dass die Initiative für die zunehmende Professionali­sierung der Betreuungs­aufgabe im Strafvollzug, und später in den anderen Haftformen, von den Direktionen ausging.

FS1807: Welches sind mögliche Gründe für die verzögerte Anerkennung des Berufs­standes der Angestell­ten im Freiheitsentzug?

Es können mehrere Gründe angeführt werden: Zuerst die Tatsache, dass Strafanstalten und Gefängnisse ihr Personal lange Zeit unter Landjägern, Polizisten und Armeeleuten fanden, die ihre Aufgabe meist auf die Aufrecht­erhaltung von Disziplin und Ordnung beschränkten, was in vielen Einrichtungen dem Verständnis des Freiheits­entzugs entsprach. Dann ist sicherlich die nachgestellte und dazu mindere Rolle des Freiheits­entzugs gegenüber Polizei und Justiz von Bedeutung, die dazu führte, dass einer eigenständigen Grundausbildung und Weiterbildung des Personals dieses Berufs­bereiches weniger Beachtung geschenkt wurde. Der Föderalismus im Freiheits­entzug, die spezielle Funktion des Personals in einer geschlossenen, öffentlich zurück­haltend auftretenden Institution und die Rekrutierung unter den Sicherheits­kräften haben ebenfalls lange dazu beige­tragen, dass die Beschäftigten sich kaum zu Vereini­gungen zusammenfanden und für eine Professionali­sierung ihrer beruflichen Tätigkeit Forderungen stellten. Schliesslich ist es wahrscheinlich auch das Ansehen des Freiheits­entzugs und seines Personals in der Gesellschaft, welche einer Anerkennung der speziel­len Aufgabe der Betreu­ung im Gefängnis lange entgegen­stand.

FS1808: Wie umfassend ist die heute vom Ausbildungszentrum für Strafvollzugspersonal angebotene Ausbildung?

In den vergangenen Jahrzehnten wurde mit dem Ziel der Zertifizierung des Berufes der Fachfrau und des Fachmannes im Justizvollzug der Unterricht im Schweiz. Ausbildungszentrum für das Strafvollzugspersonal (SAZ) theorielastig und bis zu einem gewissen Sinne praxisfremd angeboten. So musste neben Prüfungen in vielen theoretischen Fächern auch noch eine schriftliche Arbeit abgegeben werden, die jedoch für die Aufgaben im Vollzugsalltag kaum von Bedeutung war. In der Einschätzung von Führungskräften und der Leitungsgremien des SAZ sollten in Zukunft wieder mehr Praxiswissen vermittelt und praktische Fähigkeiten geschult werden. Dies geht möglicherweise über ganz praktische Erfahrung der Rolle als Betreuer und Insasse im (gespielten) Setting des Freiheitsentzugs – Erfahrungen, die, wie die Geschichte lehrt, allzu schnell ernst werden können.

FS1809: Wie sieht die Zukunft der Ausbildung des Personals im Freiheitsentzug aus?

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Ausbildung des Personals im Freiheits­entzug einen schulischen und theoretischen Charakter erhalten. In jüngster Zeit wurde Bedarf für eine mehr praxis­orientierte und praxis­bezogene Ausbildung angemeldet.

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